Die Fair Wear Foundation hilft, wo Staat & Industrie scheitern

Die Fair Wear Foundation hilft, wo Staat & Industrie scheitern
15. Mai 2020 Julian
In Textilsiegel Guide
Fairwear Label
13 Min. Lesezeit

Das Wichtigste zur Fair Wear Foundation in Kürze

  1. Die Fair Wear Foundation legt ihren Schwerpunkt auf soziale Kriterien im Produktionsschritt Konfektion
  2. Die Fair Wear Foundation fordert existenzsichernde Löhne
  3. Die Fair Wear Foundation und ihre Mitglieder ermöglichen dank dem jährlichen Brand Performance Check ein hohes Maß an Transparenz

Was verspricht das Textilsiegel der Fair Wear Foundation?

„Living wages are human rights”[1]

Dafür setzt sich die Fear Wear Foundation seit ihrer Gründung im Jahr 1999 ein.
Für uns in der westlichen Welt sind existenzsichernde Löhne selbstverständlich, in anderen Teilen dieser Welt leider nicht immer die Regel – vor allem dann, wenn die Wirtschaft schwerpunktmäßig von der Textilproduktion abhängt.

Fair Wear Foundation

Fair Wear works to improve labour conditions for garment workers. Together with its partners, Fair Wear takes practical steps and tests new solutions to find a better, fairer way to make clothes.’

Welchen Nutzen hat die Fair Wear Foundation?

Die Mehrheit der für Deutschland produzierten Kleidung kommt aus Ländern wie China, Bangladesch und Indien bei denen auch heute noch unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen produziert wird. [2][3]

Eine Studie von Femnet aus dem Jahr 2019 zur Produktion von Arbeitskleidung für drei deutsche Hersteller in Indien zeigt unter anderem:[4]

  • Verstöße und regelmäßige Kürzungen des gesetzlichen Mindestlohns
  • Der bezahlte Mindestlohn ist nicht existenzsichernd
  • Die Sicherheit am Arbeitsplatz wird nicht vollumfänglich gewährleistet

Dabei sollte man doch davon ausgehen können, dass sich seit dem tragischen Unglück am 24. April 2013 in Bangladesch, bei dem über 1.000 Menschen beim Einsturz des Rana Plazas ums Leben gekommen sind, die Welt sich einig war, dass es so in der Textilindustrie nicht weiter gehen kann.

Vereine und Organisationen wie das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ oder der „Bangladesh Accord“ wurden gegründet. Ziel ist es, auf freiwilliger Basis Standards zu definieren, damit sich ein solches Unglück nie wiederholt. Darüber hinaus sollen die Bedingungen für die Arbeiter/innen grundlegend verbessert werden.

Rückblickend kann bislang leider noch keine flächendeckende Verbesserung festgestellt werden. Unternehmen, die weiterhin möglichst billig produzieren möchten, suchen sich einfach andere entwicklungsschwache Länder, um ihre steigenden Profite auf den Rücken der Arbeiter und Arbeiterinnen – den Schwächsten in der textilen Kette auszutragen.[5] Um dennoch der steigenden Nachfrage von fairer und grün produzierter Kleidung gerecht zu werden, wird anstelle echter Verbesserungen der Produktionsstandards einfach Greenwashing betrieben.[6]

Was tut die Fair Wear Foundation?

Eines der größten Probleme, weshalb auch sechs Jahre nach dem Rana Plaza Unglück weiterhin Billiglöhne und unfaire Arbeitsbedingungen in der Textilbranche Realität sind, ist neben zahlreichen weiteren Faktoren die Top Down Methode bei der Preiskalkulation.

Ausgehend vom Endpreis werden dabei unter Abzug von einzuhaltenden Margen die maximal möglichen Produktionskosten ermittelt. Da wir im Rahmen der Fast Fashion Industrie gewohnt sind, 4,99€ für ein T-Shirt zu bezahlen, bleibt bei dieser Kalkulation für Näher, Färber und Kleinbauern ein sehr geringer Anteil übrig, der sich in geringen Löhnen widerspiegelt.[7]

Doch selbst Unternehmen, die bereit sind, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und existenzsichernde Löhne zu bezahlen, wissen oftmals nicht, wie sie das umsetzen können. Schließlich lagern viele die Produktion der Textilien an externe Unternehmen aus. Eine einfache Erhöhung des Produktpreises reicht hierbei oftmals nicht aus, um bspw. sicherzustellen, dass bei den komplexen Textilketten dieses Geld auch wirklich bei den Arbeitern ankommt.[8]

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Hier unterstützt die Fair Wear Foundation, die seit ihrer Gründung zahlreiche Modelle, Best Practice Cases sowie die Möglichkeit von Audits vor Ort in Produktionsstätten anbietet, um gemeinsam mit den Modeunternehmen für faire Arbeitsbedingungen und allen voran existenzsichernden Löhnen einzustehen.

Als Beispiel soll an diese Stelle die „Wage Ladder“ hervorgehoben werden. Sie ist öffentlich zugänglich und ermöglicht Unternehmen, die Gehälter in Produktionsstätten mit Benchmarks wie bspw. von der Global Living Wage Coallation zu vergleichen (Hier geht’s zur Fair Wear Wage Ladder).

Im Gegenzug werden Unternehmen, die sich bei der Fair Wear Foundation als Mitglieder beteiligen und sich den Standards verpflichten, mit dem Siegel der Fair Wear Foundation ausgezeichnet, das sich für Verbraucher auf den Textilien der Mitglieder findet.

 

Fair Wear Label

Schwerpunkte und Kriterien der Fair Wear Foundation

Der Schwerpunkt liegt, wie bereits erwähnt auf fairen Arbeitsbedingungen, oberstes Ziel sind existenzsichernde Löhne. Ihren Schwerpunkt setzt die Organisation dabei auf die Konfektion, ein Produktionsschritt in der textilen Wertschöpfungskette, bei dem der höchste Bedarf an Arbeitskräfte anfällt. Grund hierfür ist, dass das Zuschneiden und Nähen der Kleidung viel Handarbeit bedarf und in diesem Produktionsschritt lediglich ein geringer Automatisierungsgrad vorzufinden ist. [9]

Entscheidet sich ein Unternehmen, der Fair Wear Foundation beizutreten, muss es sich zunächst dem Code of Labour Practice verpflichten, den die Fair Wear Foundation bereits mit ihrer Gründung 1999 definiert hat und der folgenden Standards für die Arbeitsbedingungen in der Produktion von Textilien definiert:[10]

  • Keine Zwangsarbeit
  • Die Freiheit, Verbände und Gewerkschaften zu bilden
  • Keine Diskriminierung
  • Keine Kinderarbeit
  • Bezahlung von existenzsichernden Löhnen
  • Verhältnismäßige Arbeitszeiten
  • Feste Arbeitsverträge
  • Sicheres Arbeitsumfeld

Drei unterschiedliche und voneinander unabhängige Testverfahren werden von der Fair Wear Foundation durchgeführt, um das Einhalten der Standards zu gewährleisten. Ziel soll es dabei sein, die Verbesserung der Konditionen in der Textindustrie auf unterschiedlichen Ebenen langfristig durchzusetzen.

1. Audit der Zulieferer in Produktionsländer

Um diese Standards zu sichern, findet zunächst in regelmäßigen Abständen (mindestens einmal alle drei Jahre) ein Audit der Zulieferer in den Produktionsländern statt.[11] Durchgeführt werden diese von lokalen Audit Gruppen, die von der Fair Wear Foundation gestellt werden. Ziel soll es ein, Mitglieder der Foundation einen Überblick über die Arbeitsbedingungen vor Ort zu verschaffen, sowie Herausforderungen zu identifizieren und gemeinsam zu lösen, um die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern.[12]

2. Implementierung eines Beschwerdemanagement

Als zweiter Schritt implementiert die Fair Wear Foundation vor Ort ein Beschwerdemanagement, bei dem Arbeitern die Möglichkeit gegeben wird, sich in einem sicheren Umfeld über etwaige Verstöße durch Vorgesetzte zu beschweren, die es zu klären gilt. Die Fair Wear Foundation möchte so sicherstellen, dass die Arbeiter vor Ort auch gehört werden und eine Möglichkeit haben sich zu wehren und den Schleier von Machtlosigkeit zu durchbrechen.

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In diesem kurzen Beitrag ist zu sehen, wie dadurch vor allem für Frauen die Sicherheit am Arbeitsplatz nachhaltig positiv beeinflusst wird

3. Brand Performance Check

Das Wichtigste zur Garantie der Standards stellt abschließend der sogenannte Brands Performance Check dar, der jährlich bei den Mitgliedern durchgeführt wird.[13]

Dieser soll einerseits Transparenz für Konsumenten schaffen und einen Einblick gewähren, in welchem Maße das jeweilige Unternehmen bestrebt ist, ein faires und verantwortungsbewusstes Arbeitsumfeld für alle Arbeiter in der textilen Wertschöpfungskette zu ermöglichen.

Wir möchten Dir kurz einen Überblick über den Aufbau des Reports geben. Auf Fairwear.org findest Du eine Übersicht über alle Brand Performance Reports.

Bevor wir damit beginnen, ist es wichtig die folgenden zwei Voraussetzungen zu erwähnen, denen sich Unternehmen in der Fair Wear Foundation verpflichten:

  • Verpflichtung, im Laufe der Mitgliedschaft, die gesamte Lieferkette mit Blick auf den Code of Labour Practice zu überwachen
  • Gewährleistung, dass der Code of Labour Practice von allen Zulieferern unterzeichnet wurde und im Unternehmen für Arbeiter veröffentlicht wurde

Hierbei gilt es zu erwähnen, dass Mitglieder diese Voraussetzungen nicht mit Beginn der Mitgliedschaft erfüllen müssen, sondern die Fair Wear Foundation versteht diese Voraussetzung als Entwicklung, die mit steigender Zugehörigkeit der Mitglieder an Intensität in Bezug auf die Durchsetzung gewinnen sollte.

Dabei ist vor allem in den ersten beiden Jahren die Überwachung der Einhaltung nur auf einen geringen Prozentsatz der Zulieferer notwendig, während ab dem dritten Jahr zwischen 90% und 100% mit Blick auf den Code of Labour Practice geprüft werden müssen.

Ferner können Unternehmen in den folgenden sieben Kategorien jährlich bis zu 144 Punkten sammeln. In jedem Bericht wird zu den einzelnen Indikatoren ein ausführliches Statement zum Unternehmen abgegeben, weshalb wir an dieser Stelle auf die einzelnen Reports verweisen.

  • Purchasing Practice (Einkaufspraxis)
  • Monitoring and Remediation (Überwachung und Überarbeitung)
  • Complaints Handling (Behandlung von Beschwerden)
  • Training & Capacity Building (Ausbildung & Ausbau der Kapazitäten)
  • Information Management (Informationsverwaltung)
  • Transparency (Transparenz)
  • Evaluation (Auswertung)

Tipp:  Wenn Du also sichergehen möchtest, dass die Vorgaben aus dem Code of Labour Practice möglichst konsequent umgesetzt werden, achte beim Check des Brand Performance Reports auf die folgenden drei Dinge:

  1. Welcher Kategorie wird das Modelabel im Scoring Overview zugeordnet?
    (im Idealfall handelt es sich bei Deinem Unternehmen um einen Leader)
  2. Wie hoch ist der %-Anteil der own production under monitoring?
    (Je höher der %-Anteil desto konsequenter werden die acht Grundsätze des Code of Labour Practice angewendet)
  3. Wie lange ist das Unternehmen bereits Mitglied in der Fair Wear Foundation?
    (Prüfe hierfür im Bericht, seit wann das Label Mitglied ist)

Kritik und Glaubwürdigkeit der Fair Wear Foundation

Es muss berücksichtigt werden, dass die Fair Wear Foundation den Ansatz verfolgt, dass sie die Umsetzung ihrer Standards als schrittweisen Prozess ansehen, weshalb das Siegel bereits verwendet werden darf, auch wenn noch nicht eine 100% Durchsetzung der Code of Labour Practice bei allen Zulieferern gewährleistet werden kann.

Zudem wäre es natürlich auch sehr wünschenswert, wenn die gesamte textile Lieferkette abgebildet werden würde. Aufgrund der hohen Glaubwürdigkeit des Siegels in Bezug auf soziale Fairness, sehen wir es aber auch als durchaus möglich, bewusst Modelabels zu wählen, die neben dem Fair Wear Siegel bspw. ebenfalls das Fairtrade Cotton Siegel trägt, um auch im Rahmen der Baumwollproduktion auf einen hohen sozialen Standard zu setzen.[14]

In einem Interview mit dem Spiegel äußerte sich die Associate Director der Fair Wear Foundation Magreet Vierling, dass es aufgrund komplexer und undurchsichtiger Lieferketten nahezu unmöglich sei, hundertprozentig faire Kleidung zu kaufen. Den Unterschied sieht sie nicht etwa in einem Siegel an der Kleidung, vielmehr darin, dass für den Verbraucher nachvollziehbar ist, was Unternehmen tun, um nachhaltig die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Transparenz gewährleistet die Fair Wear Foundation durch den jährlichen Brand Performance Check.[15]

Case Studies – Was kann die Mitgliedschaft der Fair Wear Foundation bewirken

Um zu veranschaulichen, welche Fortschritte die Fear Wear Foundation zusammen mit seinen Mitgliedern erreichen kann und welche positiven Auswirkungen das für die Arbeiter in den Produktionsländern mit sich bringt, möchten wir Dir im Folgenden kurz zwei Beispiele von Deuter und Nudie Jeans vorstellen.

Verringerung massiver Überstunden durch die Zusammenarbeit von Deuter und der Fair Wear Foundation

Bei Deuter konnte zusammen mit der Fair Wear Foundation erreicht werden, dass das Anfallen übermäßiger Überstunden für Näher und Näherinnen bei der Produktionsfirma reduziert werden konnte. Möglich gemacht wurde das, durch eine Umstrukturierung der Auftragsvergabe in bislang produktionsschwache Monate, was zunächst eine große logistische Herausforderung für Deuter darstellte.[16]

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Nudie Jeans bezahlt existenzsichernde Löhne

Nudie Jeans hingegen hat seit 2012 einen Weg gefunden, dass sie eine Zusatzzahlung an Näher und Näherinnen in Indien zahlen, die direkt an die Arbeiter ausbezahlt wird und zusätzlich zum normalen Lohn ein existenzsicherndes Gehalt ermöglicht. Die regelmäßige Neubewertung, ob aufgrund steigernder Lebenshaltungskosten das Existenzminimum nicht mehr erreicht wird und folglich eine höhere Zusatzleistung erfolgen muss, zeigt, dass hier eine kontinuierliche und nachhaltige Entwicklung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen stattfindet.[17] [18]

Im YouTube Channel der Fair Wear Foundation findet ihr zahlreiche weitere tolle Beispiele.

Quellen

 

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