Buchreview: Stitched Up – The Anti-Capitalist Book of Fashion

Buchreview: Stitched Up – The Anti-Capitalist Book of Fashion
1. Februar 2021 Julian
In Buchtipps
Julian liest Buch am Boden
16 Min. Lesezeit

Tansy. E. Hoskins zeigt in ihrem 2014 veröffentlichtem Buch „Stichted Up – The Anticapitalist Book of Fashion“ auf, welche Missstände in der Modebranche vorherrschen.

Spannend ist, dass sie die Schuld nicht „nur“ einzelnen Unternehmen gibt (auch wenn genügend Beispiele in dem Buch aufgeführt werden). Vielmehr ist es unser gesamtes Wirtschaftssystem, das wiederum Unternehmen zur „Ausbeutung von Mensch und Natur“ zwingt, um maximale Erträge und stetiges Wachstum zu erzielen.

Die Schuld wird dabei auf den Kapitalismus gelenkt. Unsere vorherrschende Wirtschaftsform, die jedem bekannt ist. Das macht den Kapitalismus aus:[1] [2]

  1. Die Ausrichtung auf Wachstum
  2. Privates Eigentum von Produktionsmitteln, was zu Handlungsfreiheit führt
  3. Die Ausrichtung der Wirtschaftsleistung ist immer auf eine Profitgewinnung ausgelegt

In neun Kapiteln belegt Hoskins, was durch den Kapitalismus in der Modeindustrie falsch läuft und mit welchen Auswirkungen wir jetzt bereits zu kämpfen haben.

Sie beschäftigt sich mit Grundfragen in der Modeindustrie und geht dabei weit über die Themen Umwelt- und Arbeitsschutz entlang der textilen Wertschöpfungskette hinaus.

Es geht auch um ein surreales Schönheitsideal, das uns vorgegaukelt wird. Diese unerreichbaren Ideale führen zu einem stetigen Verlangen der Konsumenten, sich selbst zu optimieren, neuen Trends zu verfallen und immer mehr zu konsumieren.

Über die Autorin

Tansy Hoskins ist eine Journalistin, die sich bereits seit Längerem mit der Modeindustrie auseinandersetzt und sich aktiv für eine Veränderung mit Blick auf soziale und ökologische Standards einsetzt. Mehr Infos über die Autorin könnt ihr hier nachlesen.

In dem folgenden Video könnt ihr sie nochmal zum Thema Fast Fashion sprechen hören. Sie fasst in Kürze zusammen, wieso eine so kreative Branche so negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt hat. Die ausführliche Darstellung könnt ihr in Stitched Up nachlesen. 🙂

YouTube video

Wer sich erstmal einlesen möchte, dem legen wir  die Kolumne von Tansy Hoskins ans Herz. Hier findet ihr vor allem Berichte von Hoskins im Zusammenhang mit der Corona Pandemie und den Auswirkungen für die Arbeiter:innen in Textilfabriken.

Themen, die in Stitched Up ausführlich behandelt werden

  • Auswirkungen von Fast Fashion
  • Konsumverhalten und dessen Ursachen in unserer heutigen Gesellschaft
  • Ganzheitliches Bild der Modeindustrie
  • Entwicklung der Modeindustrie
  • Gesellschaftskritik am Beispiel der Modeindustrie

Für einen besseren Überblick haben wir dir im Folgenden die Inhalte der einzelnen Kapitel kurz zusammengefasst:

Kapitel 1 - Owning it

Hoskins nutzt das erste Kapitel, um aufzuzeigen, wie erschreckend wenig Konzerne einen Großteil der bekannten Fashion Marken steuern und wie wertvoll diese Unternehmen sind.

Spannend finden wir, dass sie ausführlich erläutert, dass Mode nicht immer ein Massenprodukt darstellte. Im Gegenteil gab es eine Zeit, wo Mode ausschließlich einer privilegierten Bevölkerungsschicht zugänglich war.

 

Kapitel 2 - The Fashion Media

Hast du dir eigentlich schon mal darüber Gedanken gemacht, wie viele unabhängige Fashion Magazine auf dem Markt angeboten werden? Wir nicht! Zumindest nicht, bevor wir Stitched Up zur Hand genommen haben. Tatsächlich gibt es nahezu keine unabhängigen Magazine, die auch mal kritisch ihre Meinung äußern. Dafür gibt es auch gute Gründe: Zu groß scheint die Abhängigkeit notwendiger Werbeeinnahmen, sowohl für etablierte Hochglanz Magazine wie auch Fashion Blogger.

Was uns an diesem Kapitel besonders fasziniert hat, ist die Erläuterung von Hoskins, wie Daten und Informationen durch die Digitalisierung von sogenannten Trend Companies aggregiert und aufbereitet werden, um den nächsten Trends vorherzusagen.

Trends stellen dabei den “Sprit” für die Fast Fashion Industrie dar. Durch die Vorhersage künftiger Trends können die passenden kurzlebigen Textilien produziert werden, die uns ständig das Gefühl vermitteln, wir würden etwas verpassen.

Kapitel 3 - Buyology

Fokus in diesem Kapitel liegt auf der Tatsache, dass aufgrund wirtschaftlicher Interessen, für Konsumenten eine Welt mit surrealen Schönheitsidealen erschaffen wird. Zentrales Mittel hierfür: Werbung.  Die zuvor erläuterten Trends werden durch Werbung eindrucksvoll in Szene gesetzt und wecken das Verlangen nach Kleidung, das weit über unseren eigentlich Bedarf hinausgeht.

Zudem lässt Hoskins das viel diskutierte Argument, dass die Verantwortung für ein bewusstes Konsumverhalten alleine beim Verbraucher, dem sogenannten “King Consumer” liegt, nicht gelten.

Durchaus plausibel, wenn auch für uns etwas zu einseitig, entkräftet sie das Argument und sieht die Verantwortung eindeutig bei den einzelnen Modeunternehmen.

Kapitel 4 - Stichting it

Im vierten Kapitel versucht Hoskins vor allem zwei elementare Fragen von Befürwortern der Produktion von Mode in Niedriglohnländern zu widerlegen.

“Die Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer hilft, diesen einen Ausweg aus der Armut aufzuzeigen”

“Welchen Einfluss hätten existenzsichernden Löhne auf die Attraktivität der Standorte in Niedriglohnländern und wie wirken sich diese Löhne auf den Endpreis unserer Kleidung aus”

Kapitel 5 - A bitter Harvest

Dass Fast Fashion für zahlreiche Umweltverstöße verantwortlich ist, haben wir ja bereits ins unserem Fakten Check über die Fast Fashion Industrie dargestellt.

Hopkins nutzt ökologische Faktoren als Argumentationsgrundlage dafür, dass Kapitalismus und Umweltschutz nicht vereinbar sind. Der ständige Zwang effektiver zu produzieren, zwingt Unternehmen förmlich dazu, Kosten bei den Schwächsten einzusparen.
Dazu zählt zumindest auf kurze Sicht neben den Arbeiter:innen in Entwicklungsländern auch unsere Natur. Die katastrophalen Langzeitfolgen werden von der Industrie nicht berücksichtigt.

Kapitel 6: Fashion and Size

Dieses Kapitel beschäftigt sich in erster Linie mit der Illusion eines unerreichbaren Schönheitsideals: Geschaffen durch die Modeindustrie und vermarket durch Werbung.

Gezeigt werden Models, die in Hochglanzmagazinen, Social Media und im Web strahlen und perfekt in Szene gesetzt sind.

Was nicht zu sehen ist, spricht Hoskins in diesem Kapitel an: Eine knallharte Branche, in der Frauen nur als Objekt wahrgenommen werden und ein steiniger und langer Weg, der nur langsam zu nachhaltigen Verbesserungen in der Modelbranche führt.

 

 

Kapitel 7 - Is Fashion Racist?

“Accepting that the fashion industry has a racist past and continues to perpetuate racism today is a step towards preventing a racist future” (vgl. Hoskins, 2014, S. 147)

Wie diese rassistische Vergangenheit und auch Gegenwart aussieht, wird in diesem Kapitel mit zahlreichen Beispielen belegt.

Kapitel 8 - Resisting Fashion

Diese komplexen Fragen werden in Kapitel 8 beantwortet:

  • Welchen Einfluss nimmt Mode in unserem Alltag ein und wie beeinflusst sie unsere Wahrnehmung?
  • Kann ich es mir mit Blick auf meine äußere Wahrnehmung in der heutigen Zeit überhaupt erlauben, auf Mode zu verzichten, ohne Nachteile im beruflichen und sozialen Kontext zu erfahren?
  • Fördert Mode Individualismus und trägt zu einer kreativen und persönlichen Entfaltung bei?

Kapitel 9 - Reforming Fashion

Dem Kapitel geht eine folgende Leitfrage voraus, die wir an dieser Stelle gerne zitieren möchten:

To reform capitalism or to overthrow it, that is the question (Stichted up, S. 167)

Für Hoskins steht an dieser Stelle fest, dass keiner der Versuche, die Modeindustrie sozialverträglicher oder ökologischer zu gestalten, bislang Früchte getragen hat. Entweder es wird auf den Einzelnen gesetzt oder die Verantwortung wird durch Selbstregulierung in die Hände der Unternehmen zurückgegeben. Beides, das belegt Hoskins in diesem Kapitel, hat ihrer Meinung nach zu wenig Veränderung erzielt.

Kollektives Handeln und Solidarität hingegen sind Schlüsselkompetenzen, die wahre Veränderung bewirken können – Selbstverständlich belegt Hoskins auch an dieser Stelle ausführlich, was dadurch bereits bewirkt wurde.

Spannend für uns ist, dass auch Ethical Fashion aus der Sicht von Hoskins keine vielversprechende Änderung in der Modeindustrie bewirkt. Wir möchten nicht zu viel preis geben und die Spannung aufrecht erhalten, das Kapitel ist auf jeden Fall lesenswert 🙂

Kapitel 10 - Revolutionising Fashion

Der Blick über den Tellerrand beschreibt das abschließende Kapitel unserer Meinung nach sehr treffend. Hoskins hat in vorgehenden Kapitel bereits gezeigt, dass ihrer Meinung nach bestehende Veränderungen in der Modebranche keine Antwort auf die soziale und ökologische Missstände bereitstellen.

Daher lädt sie uns abschließend auf ein Gedankenspiel ein und nimmt uns mit auf eine Reise in eine Zeit, in der Kapitalismus keine Rolle mehr spielt.

Was wäre ein geeignetes Wirtschaftsmodell und welche Auswirkungen ergeben sich dadurch mit Blick auf unser Konsumverhalten, gesellschaftliche Ungleichheit sowie unserer Wahrnehmung von Mode im Alltag?

Unsere Meinung

„Stitched Up – The Anticapitalist Book of Fashion“ ist für jeden zu empfehlen, der ein grundlegendes Verständnis für den gesellschaftlichen Einfluss von Mode, der Entstehung der Modeindustrie sowie unterschiedlichsten Wirkungsketten in der Modeindustrie erhalten möchte.

Hoskins nennt dabei zahlreiche soziale, gesellschaftliche und ökologische Missstände und veranschaulicht diese mit erschreckenden Beispielen. Spannend ist, dass sie durch ihre Kritik an der vorherrschenden Wirtschaftsordnung, diese Missstände nicht auf einzelne Unternehmen zurückführt. Sie findet vielmehr zahlreiche Argumente wieso Umweltschutz sowie soziale Gleichstellung mit dem Kapitalismus nicht vereinbar sind.

Uns hat das Buch geholfen, einen tieferen Einblick in die Modeindustrie zu erhalten. Gleichzeitig haben wir mit Stichted Up einen Blick über den Tellerrand gewagt. Viele Aussagen und Ansätze von Hoskins haben uns zum Nachdenken angeregt.

Allerdings ist uns wichtig darauf hinzuweisen, dass das Buch bereits 2014 veröffentlicht wurde und seither auch einiges in der Modeindustrie vor allem mit Blick auf die textile Wertschöpfungskette verbessert wurde (Keine Frage, es muss auch noch in Zukunft viel passieren). Daher empfehlen wir im Zusammenhang mit Stitched up auch immer die aktuelle Entwicklung im Auge zu behalten. Hierfür können wir unter anderem das Whitepaper der Fashion Revolution empfehlen.

Die Kritik ist dennoch berechtigt, das hat uns die Corona Pandemie ganz aktuell vor Augen geführt. In Krisenzeiten vergessenUnternehmen sehr schnell ihre soziale Verantwortung entlang ihrer textilen Wertschöpfungskette.

Wir möchten noch anhand eines weiteren Beispiels aufzeigen, dass Stitched up, trotz seiner Veröffentlichung im Jahr 2014 mit Blick auf seine Kritik immer noch aktuell ist. So wird in Kapitel 9 – Reforming Fashion unter dem Punkt Regulation am Beispiel UK aufgeführt, dass sowohl der Staat wie auch Unternehmen ein geringes Interesse daran haben, rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die soziale und ökologische Standards entlang der textilen Kette erzwingen. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um das Lieferkettengesetz in Deutschland, zeigt sich ein ähnliches Bild. Wenn auch als notwendig erachtet, konnte bislang keine Einigung dazu erzielt werden.[2] [3] [4]

Dem Gedanken, den Kapitalismus vollständig zu verwerfen und eine neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu leben, können wir noch nicht ganz anschließen. Das liegt aber vielleicht auch einfach daran, dass wir uns bisher zu wenig mit den Auswirkungen des Kapitalismus beschäftigt haben. Hoskins begründet diese notwendige Veränderung vor allem damit, dass bestehende Ansätze, den Kapitalismus zu ändern, keine Auswirkungen zeigen. Hierfür nennt sie beispielsweise die Ethical/Fair Fashion Bewegung oder Selbstverpflichtung der Unternehmen.

Vielleicht denken wir in ein paar Jahren anders, aber aktuell sehen wir so viele junge und kreative Menschen mit tollen Ansätzen, die Modeindustrie im Kern zu verändern, dass wir daran glauben möchten, dass es auch im bestehenden System geht. Aber nicht nur kleine Unternehmen zeigen, dass es möglich ist. Vaude möchten wir hier als Beispiel nennen und weil gerade ganz aktuell: Patagonia hat sich eine Wachstumsbremse verordnet.[1]

Weshalb wir diese Beispiele nennen: Wir finden es super spannend, dass Hoskins uns in ihre Post-kapitalistische Welt mitnimmt. Wir glauben aber nicht, dass das in naher Zukunft passieren wird. Die Veränderung wird durch große wie auch kleine Unternehmen passieren.

Abschließend hoffen wir, dass wir euch zeigen konnten, dass das Buch wahnsinnig zum Denken anregt und daher möchten wir euch Stichted Up – The Anti-Capitalist Book of Fashion“ auf jeden Fall empfehlen.

Viel Spaß bei Lesen und gerne könnt ihr uns auch einen Kommentar schreiben, solltet ihr das Buch bereits gelesen haben und/oder eine andere Ansicht haben als wir 🙂

Seit 2016 ist Stitched Up auch als deutsche Version unter dem Namen “Das antikapitalisitsche Buch der Mode”* erhältlich

Julian liest Buch am Boden

Quellen

  • [1] https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/wirtschaft/kapitalismus/index.html
  • [2] https://open.spotify.com/episode/7lCFs621WUB7TgXcaXzLtC?si=FUlIbbb7QKCAUByDWaiaGg
  • [3] https://www.deutschlandfunk.de/streit-um-lieferkettengesetze-markt-moral-und-menschenrechte.724.de.html?dram:article_id=488354
  • [4] https://lieferkettengesetz.de/wp-content/uploads/2020/06/Briefing-Juni-2020_Lieferketten-und-Corona_final.pdf
  • [5] https://www.welt.de/wirtschaft/article206500449/Lieferkettengesetz-Kanzleramt-stoppt-Entwurf-wegen-Coronavirus.html

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